Das finstere Tal ✍

Vom Schrecken des Eises und der Finsternis – Andreas Prochaska gelingt eine bedrückend schöne Verfilmung von Thomas Willmanns Bestsellerroman

Einen „Spiegel mit Gedächtnis“ bringt der Fremde mit in das abgelegene Hochtal. Mit diesem Zauberkasten erkauft sich der junge Amerikaner Greider (Sam Riley) den Eintritt in die zurückgezogene Dorfgemeinschaft, die Einflüsse von außen eigentlich vehement abwehrt. Ein dunkles Geheimnis scheint sich mit dem herbstlichen Nebel auf das Tal zu legen und es gänzlich zu bedecken. Doch der ruhige Greider freundet sich langsam mit seiner Gastgeberin, der Gaderin (Carmen Gratl), und ihrer Tochter Luzi (Pauler Beer) an. Er dringt stetig in die verworrenen Machtzusammenhänge des Ortes vor, lässt die Einschüchterungsversuche der Söhne des dem Ort vorstehenden Brenner-Bauern (Hans-Michael Rehberg) unbeeindruckt an sich abprallen. Sein Gedächtnisspiegel, ein Daguerreotyp, ein Vorgänger des Fotoapparates, wird zum stummen Chronisten des Aufeinandertreffens von der aus Amerika mitgebrachten Vorstellung von Freiheit und Selbstbestimmung und der gewalttätigen Unterdrückung, mit der der Brenner-Bauer und seine Söhne das Tal beherrschen und unterdrücken. Mit Greider und seinem Apparat kommt auch die Erinnerung an Greiders Mutter, der als junger Frau die Flucht vor Brenners brutaler Gewalt gelang – bis nach Amerika musste sie reisen, um das Tal hinter sich lassen zu können. Schnell ist klar: Da ist irgendetwas im Busch in diesem namenlosen Bergdorf und der Fremde ist nicht zufällig hierhergekommen, die Fotografie ist lediglich ein Vorwand. Er will Rache für das Schicksal seiner Mutter üben. Kaum ist der erste Schnee gefallen, kommt ein Brenner-Bruder nach dem anderen ums Leben, der Showdown ist vorprogrammiert.

Thomas W. Kienasts Kamera ist hier zunächst stiller Beobachter, huscht mit Greider durch das Dorf, bleibt an Häuserecken und hinter Holzzäunen stehen, um die Vorgänge in der Gemeinde unbeobachtet betrachten zu können. Diesen heimlichen, fast unsicheren, Blicken setzt Kienast die Rohheit der Landschaft entgegen. Mit wuchtigen, bedrückenden Einstellungen bebildert er die Kälte und die Finsternis des Hochtals. Nicht die lieblichen Berge der Heimatfilme, sondern die unnachgiebigen, bedrängenden Gebirgsmassive sind es, die sich hier scheinbar mit den Brenner-Brüdern gegen die Dorfbevölkerung verbündet haben und im Winter niemanden in die Stadt hinabsteigen lassen. So wird das winterliche Tal zur äußerlichen wie mentalen Eiswüste. Das Setting des Heimatfilms wird zur schneebedeckten Westernsteppe umgedeutet, in welcher Greider seinen Rachefeldzug mit stoischer Ruhe plant und Schritt für Schritt ausführt, immer im Takt zu seinem Metronom, mit dem er die Belichtungszeit seines Daguerreotypen misst. Dieser Takt legt sich auch über den von der Schneedecke verhüllten Ort und den ihn umgebenden Wald, lässt die nahezu stehen gebliebene Zeit fühlbar werden und macht Greiders Shootout mit den überlebenden Brenner-Brüdern zu einem durch und durch getakteten und durchchoreographierten Tanz. In Zeitlupe kostet Prochaska hier den Einschlag jeder Kugel aus, die Wucht, mit der die Gliedmaßen von den Schrotladungen getroffen und zerfetzt werden. In zwar nicht neuen, aber nicht minder ästhetischen Bildern färbt das Blut den Schnee langsam rot, die Brenner-Brüder bleiben wie in einem Stillleben regungslos liegen und der Winter legt sich mit seiner Stille wieder über das Tal.

Dieser physische Shootout wird jedoch von seiner psychologischen Spiegelung überlagert: Greider dringt letztendlich in die Stube des alten Brenner-Bauern vor, der von seiner Bettstatt aus die Fäden zieht und das Tal in Angst und Schrecken versetzt. Dieses fast wortlose, aber bis zur Unerträglichkeit angespannte, Aufeinandertreffen ist der eigentliche Showdown des Films. Bevor Greider das Tal von seinem Tyrannen befreit, der sich alle Frauen in ihrer Hochzeitsnacht aneignete, um das eigene Blut fortbestehen zu lassen, sitzt er beim mutmaßlichen Vater. Dieser liegt bereits wie auf dem Sterbebett aufgebahrt und ergreift die Hand des kurz zum unsicheren Jungen gewordenen Greider. Er bittet ihn um den Gnadenstoß, da seine Söhne bereits alle tot sind.

Mit dem Kunstgriff, aus dem Maler des Romans einen Fotografen zu machen, gelingt Prochaska eine schon fast geniale, den gesamten Film umspannende Metapher, die sich nicht nur dem Denken in Bildern nahtlos anschmiegt, sondern auch die lakonische Stimmung und die stehengebliebene Zeit im vom Brenner-Bauern regierten Tal greifbar macht. Das Ticken des Metronoms lässt das Dorf langsam wieder aus dem Winterschlaf erwachen, die Zeit wieder fließen. Greider hält den Bewohnern mit seinen Fotografien tatsächlich den Spiegel und die Erinnerung vor, lässt sie den menschenunwürdigen Zustand, den sie mit der Zeit als gegeben akzeptiert haben, vergegenwärtigen. Langsam aber stetig tastet er sich im Takt des Metronoms vor und schlägt letztendlich im gnadenlosen Showdown zu.

Sam Riley verkörpert den Greider mit einer beinahe Eastwoodschen Coolness, die man ihm, wenn man ehrlich ist, nicht zugetraut hätte. Prochaska hat ihn wegen seiner Ähnlichkeit zu Alain Delons Jef Costello besetzt und ins Schwarze getroffen. Die Zerrissenheit des Protagonisten zwischen Rachebedürfnis und Aufarbeitung der Familiengeschichte im psychologischen Duell mit dem Brenner-Bauern geht ihm wie von selbst von der Hand, fast unmerklich changiert seine Mimik zwischen Lakonie, Angst und eiskaltem Hass. Auch bis in die kleinsten Nebenrollen ist DAS FINSTERE TAL hochkarätig besetzt – allen voran brilliert Tobias Moretti als Hans Brenner, dem sadistischsten der Brüder, den er mit einer Abgebrühtheit verkörpert, die Gänsehaut verspricht; ebenso Thomas Schubert, der in seiner zweiten Kinorolle nach ATMEN (2011) als Luzis Verlobter Lukas zu sehen ist und auf weitere Auftritte des Jungschauspielers hoffen lässt. Selbst für den massigen Schmied, der wie Zerberus den Brennerhof hütet und Greider auf seinem Weg zum Hausherrn einen erbitterten Kampf liefert, konnte Prochaska eine markante Besetzung finden: Der Kraftsportler und Strongman Heinz Ollesch hat einen zwar kurzen, aber physisch einprägsamen Auftritt und reiht sich als Almöhiversion in die Liste der Sportler mit (Gast-)Auftritten im Filmgeschäft ein.

DAS FINSTERE TAL löst sein Versprechen eines spannenden Genremixes aus Western und Heimatfilm mehr als nur ein. Andreas Prochaska setzt Thomas Willmanns grandiose Verquickung von Heimatroman und Western in einer klaren Bildsprache um, lässt seinen Schauspielern aber stets genug Raum, um die wortkargen Figuren zum Leben zu erwecken und den Zuschauer mitzureißen. Jedem Freund von abgebrühten Westernhelden, atemberaubenden Duellen und mitreißender Spannung sei dieser Film wärmstens ans Herz gelegt.


Das finstere Tal, Österreich, Deutschland, 2014 – Regie: Andreas Prochaska. Drehbuch: Martin Ambrosch und Andreas Prochaska nach dem Roman von Thomas Willmann. Kamera: Thomas W. Kienast. Darsteller: Sam Riley, Tobias Moretti, Paula Beer, Clemens Schick, Thomas Schubert. Produktion: Allegro Film, X Filme. Verleih: X-Verleih, 115 Minuten. DVD-/Blu Ray-Start: 4. September 2014.