Mr. Jones ✍

Seit The Blair Witch Projekt 1999 zu einem Überraschungserfolg wurde, ist die Reihe der sogenannten „Found footage“ – Filme nicht mehr abgerissen, die ein Ereignis ausschließlich aus dem subjektiven Blickwinkel Desjenigen betrachten, dessen ungeschnittenes Filmmaterial zu einem späteren Zeitpunkt aufgefunden wurde. Fast immer von Unbeteiligten, denn das Genre impliziert, dass die unmittelbaren Zeugen der dokumentierten Vorkommnisse, diese nicht überlebt haben können, weshalb die „Found footage“-Technologie fast ausschließlich im Horror-Film Anwendung findet. Eine naheliegende Idee, denn der Schrecken entsteht immer aus dem Unbekannten, den verborgenen Winkeln, der sich durch den beschränkten subjektiven Kamerablick in realistischer Form auf den Betrachter überträgt.

Regisseur Karl Mueller plante für seinen ersten Film, diese Ausgangssituation um eine zusätzliche Perspektive zu erweitern, denn seine Protagonisten Penny (Sarah Jones) und Scott (Jon Foster) verfügen über eine Kamera, die – wie inzwischen bei jedem Smartphone üblich – mit einem Gegenobjektiv sekundenschnell den Blick auch auf den Kameraführenden werfen kann, womit nicht nur dessen Sichtfeld, sondern auch dessen Reaktion nacherlebt werden kann. Der Hintergrund eines jungen Paares, das sich für ein paar Monate in die Einöde zurückzieht, nicht nur um ihre Beziehung zu pflegen, sondern weil sich Scott als Dokumentarfilmer in einem kreativen Loch befindet, verleiht der Handlung eine schlüssige Basis. Auch Penny ist als Fotografin vertraut mit der Kamerabedienung, weshalb Mr.Jones nicht über die im „Found footage“-Genre übliche Wackeloptik, sondern eine klare Bildsprache verfügt und die Motivation, möglichst viel des eigenen Erlebens optisch festhalten zu wollen, nachvollziehbar wird.

Diesen Realismus versuchte Mueller auch im Verhalten seiner zwei Protagonisten aufrecht zu erhalten, nachdem sie das erste Mal mit „Mr.Jones“ konfrontiert wurden. Ihr Rückzug in die Einöde assoziiert sofort Erwartungen an einen „Backwood slasher“, dessen Horror aus dem Kontrast zwischen jungen, freizügigen Städtern und reaktionären Einheimischen entsteht, aber auf dieses Gleis begibt sich der Film keinen Moment. Im Gegenteil. So finster und wortkarg der geheimnisvolle „Mr.Jones“ daher kommt, handelt es sich bei ihm um einen Künstler, dessen morbiden Statuen hohe Preise in der Kunst-Szene erzielen, über den darüber hinaus aber fast nichts bekannt ist. Nicht erstaunlich, dass Penny und Scott sich nicht von dessen abweisender Art abschrecken lassen, sondern versuchen, mehr über ihn zu erfahren. Während sich Scott nach New York begibt, um die wenigen Menschen zu interviewen, die mit ihm schon einmal etwas zu tun hatten, hält Penny die Kunstwerke fest, die Mr.Jones in der Landschaft installiert hat.

Der deutsche Verleih versucht mit der Titel-Erweiterung Mr. Jones – Wenn du ihn siehst…Lauf! eine unmittelbar von dieser Figur ausgehende Gefahr zu vermitteln, womit er die Erwartungshaltung in eine falsche Richtung rückt. Zwar spielt auch Mueller mit dessen gruseligen Auftreten, hält die Balance aber immer innerhalb einer bedrohlich wirkenden Atmosphäre. Ginge tatsächlich eine konkrete Gefährdung von „Mr.Jones“ aus, hätten Penny und Scott längst das Weite gesucht – mit den üblichen Twens, die sich trotz offensichtlicher Warnungen nicht aufhalten lassen, haben sie wenig gemeinsam. Selbst als Scott in den Keller des Künstlers vordringt, treibt ihn nur die Neugierde für seinen Dokumentarfilm – das „Mr. Jones“ ihm etwas antun könnte, glaubt er nicht. Zwar drückten seine Interviewpartner durchaus Furcht vor diesem Mann aus, aber wieso sollte dieser plötzlich zu einem Killer werden?

Trotz der oberflächlich gestalteten Charaktere seiner Protagonisten – eine häufige Schwäche im „Found footage“-Film, der seinen Figuren nur wenig Entwicklungsmöglichkeiten belässt – kann Muellers Film als Dokumentation über eine zwar fiktive, aber spannende Persönlichkeit stilistisch, wie inhaltlich überzeugen. Doch Mr.Jones sollte auch ein Horror-Film werden, womit der Autor und Regisseur das dünne Eis typischer Erwartungshaltungen betrat. Da seine Story weder über Gewalt, noch sonstige konkrete Gefahren verfügt, begab sich Mueller im letzten Drittel seines Films auf die Ebene der Halluzination. Zwar wird alles aus Scotts Sicht subjektiv festgehalten, aber was real ist oder nicht verschwimmt zunehmend vor dessen Auge. Ist „Mr.Jones“ gefährlich oder gar ein Retter vor einer überdimensionalen Bedrohung? – Welche Rolle spielt Penny und welche ist die reale Penny?


Es erstaunt nicht, dass Mr.Jones im Netz nur auf wenig Gegenliebe stößt, denn wer klare Antworten erwartet oder einen geradlinig erzählten Horrorstreifen erhofft, wird von Muellers Erstling enttäuscht werden. Mr.Jones bleibt konsequent auf der Ebene Scotts – atmosphärisch dicht und spannend umgesetzt entsteht aus seiner Dokumentation über einen geheimnisvollen, erschreckend wirkenden Künstler eine in seinem Kopf stattfindende Horror-Fantasie.