Seit 12.01.2015 auf DVD und Blu-ray im Handel erhältlich.
1974 entdeckte man in Äthiopien ein Teilskelett von einem weiblichen Menschen. Sein Alter wurde auf 3,2 Millionen Jahre datiert und es gilt somit als ältester Fund humaner Überreste. Benannt nach dem Beatles-Song Lucy in the Sky with Diamonds, zählt sie somit als erste Vertreterin unserer Rasse. Dieser Ausflug in die fossile Geschichte dient der Erklärung zur Namensfindung der Titelheldin des zu besprechenden Filmes.
Als der Trailer zu Luc Bessons neuem Projekt Lucy zu sehen war, atmeten viele erleichtert auf. Der französische Filmemacher hatte in den letzten Jahren eher für Enttäuschungen unter seinen Anhängern gesorgt und konnte immer seltener mit seinen eigenen Regiearbeiten überzeugen. Die Kinderfilme um die Minimoy-Gnome waren zweifellos eine altersbedingte Geschmackssache. Zwar präsentierte er mit The Lady – Ein geteiltes Herz (2011) und Adèle und das Geheimnis des Pharaos (2010) zwei angenehme Werke, aber mit seinem letzter Streich Malavita – The Family (2013) enttäuschte er trotz Starpower und Martin Scorsese im Produzententeam. Lucy verlautbarte eine Mischung aus Action und Science Fiction mit einer (wie immer) attraktiven Scarlett Johansson die in ihrer Rolle an Nikita erinnerte.
Lucy ist eine junge Studentin in der taiwanischen Metropole Taipeh. Nach einer durchzechten Nacht gerät sie durch die dubiosen Geschäfte ihres Freundes in die Fänge des Großgangsters Mr. Jang (Min-sik Choi). Als unfreiwilliger Kurier wird ihr ein Päckchen mit einer synthetischen Droge zwischen die Eingeweide transplantiert. Zum Export in ihre Heimat kommt es aber erst gar nicht, da sie durch einen Schergen des Mr. Jang zusammengeschlagen wird. Dabei zerplatzt der Beutel und der blaue Muntermacher gerät in ihre Blutbahn. Schnell stellt sich heraus, dass diese Droge weit mehr als nur bewusstseinserweiternd wirkt. Lucys Gehirn arbeiten nun mit erhöhter Leistung und durch ihre gewonnene Intelligenz und Weitsicht, startet sie die Jagd auf ihrem Peiniger und dem Rest der Wunder-Droge.
Ein Nebenschauplatz ist der Wissenschaftler Professor Norman (Morgan Freeman), der in seinen Arbeiten die Hirnkapazität bei Menschen und Tieren erforscht. Am Ende werden beide aufeinandertreffen um von einander zu profitieren.
Besson hat sich jahrelang mit der wissenschaftlichen und philosophischen Komponente seiner Geschichte auseinandergesetzt. In einem Interview sagt es Johansson ganz deutlich: Das Script ist simpel, das Thema ist komplex. Tatsächlich ist Lucy eine rasante Verfolgungsjagd mit stilvoll inszenierten Kämpfen und Schusswechseln und wäre da nicht dieses nachdenkliche Detail in der Erzählung, so könnte es auch eine beliebige Produktion von Luc Besson sein, bei denen er die Regie an andere abgibt. Das Phänomen, das der Mensch nur circa 10% seines Gehirns nutzt, fasziniert nicht nur den Regisseur und Autor. Er wollte wissen bzw. eine fiktive Möglichkeit erschaffen, welche Fähigkeiten eine Person erlangen könnte, die auf ihre kompletten 100% zurückzugreifen kann. Hier muss gleich gesagt werden, dass es bei dem Nutzumfang des Gehirns auch andere Forscher gibt, die von einer weitaus höheren Prozentzahl im Nutzungsvolumen ausgehen. Alles ist eben Theorie, weniger bewiesene Errungenschaft.
In dieser Vision ist eine göttlich anmutende Scarlett Johansson entstanden, die mit einer zunehmenden Monotonie spielt, die sich exponentiell zur prozentualen Nutzung ihres Denknervs verstärkt. Eine letzte Emotion zeigt sie noch am Anfang ihrer Tortur bei einem Telefonat mit ihrer Mutter – durchaus einer der schönsten Momente im Film. Danach geht sie gnadenlos gegen jedes Hindernis vor, das sich ihr in den Weg stellt. Sie ist fortan das höchste Wesen auf Erden und strahlt dennoch, trotz der emotionalen Kälte, eine Naivität aus, die wieder zur Sympathie führt. Diese Eigenschaften leisteten Besson bereits bei Léon – Der Profi, Nikita und ebenfalls bei Leeloo aus Das fünfte Element treue Dienste. Die Mischung aus Kinetik und Anspruch verschmelzen in einer poppigen Optik und mit 89 Minuten Laufzeit wird eine Kurzweiligkeit erzeugt, die angesichts der tiefen evolutionären Theorien sehr überrascht. Zum Augenschmaus werden immer wieder die Clip-Sequenzen, die uns mit Bildern und Szenenfetzen überfluten. Auch symbolische Elemente finden sich, besonders zu Beginn. Bei weiterer Analyse ist auch zu bemerken das Lucy als Überwesen mit zunehmender Weisheit, weniger aggressiv handelt: Ein wahrer Gedanke.
Die Crew überrascht positiver Weise wenig. Lucs Stammpersonal, Thierry Arbogast an der Kamera und Eric Serra am Dirigentenstab, erweist sich einmal mehr als gute Besetzung. Seit mehr als zwanzig Jahren arbeitet er mit ihnen zusammen und noch immer funktioniert dieses Trio optimal. Johansson und Freeman bieten gute Standardkunst und der koreanische Volkschauspieler Min-sik Choi (Dae-su Oh aus Oldboy), wie ihn Besson beschreibt, agiert als herrlich grausamer Gegner.
Auch wenn das ganz große Actionepos, was mancher sich nach dem Trailer versprochen haben könnte, ausblieb, so ist Lucy dennoch als herausragende Vertreterin in Bessons Vita zu bezeichnen. Rund, ansprechend, trockenhumorig und schön. Außerdem wird das Grübeln nach Ansicht dem einen oder anderen zusätzliche Freude bereiten können.