Ab 05.06.14 im Kino.
Die Story klingt auf den ersten Blick alles andere als mitreißend. Es geht um einen Jungen namens Mason, dessen Aufwachsen vom fünften bis zum achtzehnten Lebensjahr begleitet wird. Wir sehen dabei zu, wie er mit seiner Patchwork-Familie die Kindheit erlebt. Die Eltern sind getrennt, seine Mutter studiert und gerät immer wieder an die falschen Männer und der Vater ist ein Lebemann ohne festen Job, welcher bei einem Kumpel in der WG wohnt. Und dann ist da noch Masons Schwester, welche stellenweise wirklich anstrengend ist… Augenscheinlich nicht wirklich viel, was den verwöhnten Filmfan überzeugen könnte. Und dennoch ist Boyhood ein Meisterwerk geworden und etwas, dass es so noch nicht gegeben hat und wohl auch so schnell nicht noch einmal geben wird.
Denn Regisseur Richard Linklater ließ sich für seinen Film Zeit. Viel Zeit. Zwölf Jahre um genau zu sein. Anno 2002 kam ihm die Idee, einen Film über die Kindheit eines Jungen zu drehen. Doch anstatt diesen nach dem üblichen Muster, mit unterschiedlichen Darstellern des Jungen und viel Maske für die „Alten“, abzudrehen, wurden die 39 Tage Drehzeit auf zwölf Jahre verteilt und man traf sich jährlich für einige Tage zum Shoot. Und dabei ist auch das Drehbuch Jahr für Jahr weiter entwickelt worden, so dass Linklater die Ereignisse der vergangenen Jahre realistisch und glaubwürdig einbauen konnte und man somit nie das Gefühl erhält, der Streifen wäre nur eine gestreckte Momentaufnahme. Nein, der Film zeigt vielleicht das realistischste Lebensbild, welches es je über eine fiktive Figur und dessen Umfeld auf Zelluloid gegeben hat.
Und somit nehmen wir für eine kurze Zeit am Leben von Mason teil. Wir sehen wie seine Mutter mit ihm und seiner Schwester das erste Mal umzieht, da sie ein Studium an einer entfernten Universität aufnehmen will. Wir sehen wie Mason sich mit der Situation abfindet, neue Freunde findet, die erste Klasse nicht besteht und immer wieder mit veränderten Umständen klarkommen muss. Dabei treffen sich die Kids auch mit ihrem Vater und haben Teil an seinem wilden Leben. Dann kommen schwere Zeiten mit zwei schwierigen Stiefvätern, die ersten Ausflüge als Teenager, die erste Liebe, die erste Trennung und so weiter und so fort. Die gesamte Kindheit eines jungen Burschen, in 165 Minuten Laufzeit, welche wie im Flug vergehen.
Denn was Linklater vor allem schafft ist die Kunst, das Gezeigte zu absolut keinem Zeitpunkt langweilig werden zu lassen. Die Faszination und die Magie, welche Boyhood durchgehend auszustrahlen verschafft, ist kaum in Worte zu fassen. Vor allem auch, weil der Regisseur die bekannten Konflikte einer jeden Familie glaubwürdig und ohne jedwede Künstlichkeit zu erzählen weiß. Niemals hat man das Gefühl, dass irgend etwas aufgesetzt wirkt, sondern jeder Konflikt, jede Begebenheit, jeder Moment fühlt sich einfach echt an.
Neben viel Hingabe zum Projekt und dem unbedingten Willen, es bis zuletzt wie geplant, unter Einbeziehung der zeitlichen Einflüsse, durchzuziehen, ist dies besonders den Darstellern zu verdanken. Es ist kaum zu glauben, wie sich Ellar Coltrane in den Jahren entwickelt, sowohl was seine Figur angeht, als auch seine Performance. Zudem wurde auch das Aussehen exakt in den Film übernommen, so dass Coltrane mal kurze Haare hat, mal ne richtige Matte, dann einen Wuschelkopf, so wie es nun einmal über all die Jahre so kommt. Patrica Arquette und Ethan Hawke sieht man dagegen den Alterungsprozess (naturbedingt) nicht so sehr an, wie dem Jungen und seiner Schwester, gespielt von Regisseurtochter Lorelei Linklater, doch auch bei ihnen finden deutlich Veränderungen am Wesen, am Typ und am Aussehen statt. Somit kann Boyhood zweifelsohne mit dem wohl realistischsten Alterungsprozess von Figuren in der Filmgeschichte aufwarten .
Unterstützt wird dies zudem mit den zeitgenössischen Momentaufnahmen der einzelnen Jahre. Die Wahl von Barack Obama, das Aufkommen von Facebook, sowie der Hype um das erste IPhone werden dabei genauso wenig außer Acht gelassen, wie die wandelnden Gefühle der Amerikaner nach 9/11 (nur einem Jahr vor Drehbeginn), die XBox oder die Musik. Vor allem bei letzterem greift Linklater auf eine schier brillante Auswahl zurück, die den Geist eines jeden Moments spüren lässt. Und wenn Mason dann zu „Hero“ von der Gruppe Family of the Year das traute Heim seiner Mutter verlässt, dann dürfte selbst der Letzte im Kino gemerkt haben, wie sehr Linklater sich hier bemüht hat alles richtig zu machen und dies auch geschafft hat.
Somit kann man unterm Strich sagen, dass all die Phrasen, all die Lobhudelein und all das Geschwärme der Kritiker über Boyhood seine Daseinsberechtigung hat. Ein ungewöhnliche Idee, ein mutiges Experiment und eine einzigartiges Konzept der Inszenierung zahlen sich unterm Strich aus und ergeben einen der besten Filme seit vielen Jahren. Trotz der enormen Produktionszeit stimmt wirklich alles an Boyhood, so dass er eigentlich jeden begeistern müsste, der sich mit dem Medium Film auseinandersetzt und das Leben noch immer an jedem Tag genießen kann, trotz all seiner kleinen und großen Probleme. Ein Werk voller Magie, echter Gefühle und großartigen Momenten. Kurzum, ein Film wie es ihn, wie schon angedeutet, sicher nicht noch einmal geben wird.