Es scheint unmöglich über einen der frühen Verhoeven-Film der Vor-Hollywood-Phase zu schreiben, ohne dessen skandalträchtige Wirkung zu erwähnen. „Spetters“ ist auch heute noch in den Niederlanden umstritten, während er mit dem so ungeschickten, wie verfälschenden Zusatz „Knallhart und romantisch“ in die deutschen Kinos kam. Die Story um drei junge Männer und ein hübsches, ehrgeiziges Mädchen, dass der Reihe nach Unabhängigkeit und wirtschaftliche Sicherheit bei ihnen zu finden versucht, bietet wenig Grundlage für Romantik, aber auch das Attribut „knallhart“ trifft nicht den Kern einer Handlung, die nur eines wiedergibt – die Realität.
Natürlich bot Verhoeven wieder eine Vielzahl an Elementen auf, die schon von weitem nach Skandal riechen. Nachdem in „Türkische Früchte“ (1973) und „Das Mädchen Keetje Tippel“ (1975) der nackte weibliche Körper im Mittelpunkt stand, betonte er diesmal das männliche Genital, dass vom „Schwanzvergleich“ bis zur Vergewaltigung Eefs (Toon Agterberg) durch vier homosexuelle Männer auch im eregierten Zustand zur Geltung kommt. Dass Eef, zuvor mit homophoben Sprüchen aufgefallen, danach zu seiner homosexuellen Neigung steht und eine Beziehung mit einem seiner Vergewaltiger eingeht, kehrte die sonst gegenüber Frauen formulierte Formel der „Vergewohltätigung“ geschlechtsspezifisch um, was die Abneigung gegen dieses verlogene Klischee beim Publikum eher erhöhte. Auch die Familie Eefs mit dem erzreligiösen Vater, der seinen Sohn brutal im Dachstuhl bestraft, nach außen aber seine christliche Gesinnung demonstriert, entsprach scheinbar Verhoevens typischem Griff ins Extreme, aber das Gegenteil war der Fall.
Zwar liebt es der Regisseur die Ereignisse zuzuspitzen, aber damit kam er der Realität häufig sehr nah. Die Niederlande, 1980, war ein Land großer Gegensätze, ist es heute in abgeschwächter Form immer noch. Während die Großstädte wie das im Film nahe gelegene Rotterdam von liberalem Zuschnitt sind, genügte in ländlichen Gegenden schon die falsche Religionszugehörigkeit oder ein anderer Dialekt, um ausgegrenzt zu werden. Der Wohnort der drei männlichen Protagonisten liegt nicht weit entfernt von Rotterdam, aber dazwischen befindet sich eine Autobahnverbindung, deren seelenlose, austauschbare Architektur gleichzeitig Fluch und Chance zu bedeuten scheint. Nur Fientjes (Renée Soutendijk) körperlichem Einsatz bei dem Dorfpolizisten ist es zu verdanken, dass sie und ihr Bruder mit ihrem Imbisswagen in dem kleinen Ort bleiben dürfen, während Eef in Rotterdam schwule Freier ausraubt, bis er selbst zum Opfer wird.
Wie gewohnt hielt Verhoeven den Unterhaltungswert um die drei Freunde Eef, Hans (Maarten Spanjer) und Rien (Hans van Tongeren) hoch, die in ihrer Freizeit Motocross-Rennen fahren. Neben der Renn-Action um das vielversprechende Talent Rien, geht es auch um Spaß und Sex, doch gerade im Vergleich zu aktuellen Buddy-Filmen verlor Verhoeven nie den Blick für die Realität, lassen sich die kommenden tragischen Ereignisse frühzeitig erkennen. Selbst die Szene, in der Eef und Hans, die im Gegensatz zu Rien über keine sturmfrei Bude verfügen, vergeblich versuchen, im Obergeschoss eines noch nicht fertiggestellten Wohngebäudes mit zwei Mädchen zu schlafen und stattdessen den Sex nur vortäuschen, ist nicht albern. Deutlich wird zu diesem Zeitpunkt schon, dass Eef keine Erektion bekommt, da er durch seine Partnerin nicht erregt wird.
Die Tiefe des Films zeigt sich besonders daran, dass Verhoeven keinen seiner Protagonisten trotz ihres egoistischen, teilweise kriminellen Verhaltens verurteilt. Selbst das Fientje den nach einem Unfall querschnittgelähmten Rien verlässt, um es mit Eef zu versuchen – was nur misslingen kann – bleibt nachvollziehbar. Ihr fast verzweifelter Wunsch nach einem besseren Leben und sein inneres Aufgeben ließen sich nicht mehr vereinbaren. In „Spetters“ liegen tragische und glückliche Momente immer nah beieinander, werden Hoffnungen zerstört und entstehen Chancen aus dem Nichts. Das verleiht dem Geschehen eine Normalität, die im Widerspruch zum Extrem-Vorwurf an Verhoeven steht – selbst Rudger Hauer in seiner schillernden Nebenrolle als kommender Moto-Cross-Weltmeister verliert nie den Maßstab. Dass „Spetters“ trotzdem bis heute provoziert, lässt sich nur damit erklären, dass Verhoeven der Realität zu nah kam, denn es gibt nur wenige Filme, die den Zeitgeist dieser Phase Ende der 70er Jahre ähnlich genau, emotional packend und jeden Moment spannend einfingen.