Der Superlativ im Filmtitel „A most wanted man“ weist schon darauf hin, dass hier der Maßstab verloren gegangen ist. Wie im sinngemäß formulierten „Enemy of the state“ (Staatsfeind Nr.1, 1998) mit Will Smith geraten nicht die möglichen Täter außer Kontrolle, deren tatsächliche Schuld noch gar nicht erwiesen ist, sondern ein Justiz-Apparat, der angesichts hochgezüchteter Überwachungstechnik, gegeneinander ermittelnden Abteilungen und Kompetenz-Wirrwarr so sehr den Überblick verliert, dass er, aus Angst etwas falsch zu machen, zunehmend panisch reagiert. In Tony Scotts Film „Staatsfeind Nr.1“ bedurfte es noch eines verbrecherischen Geheimdienstmanns als Auslöser, in Anton Corbijns „A most wanted man“ – nach einem Roman von John le Carré – genügt die generelle Furcht vor einem erneuten Terror-Akt seit dem 11.September 2001.
Die Story spielt nicht zufällig in Hamburg, wo die Drahtzieher des Anschlags auf das New Yorker „World Trade Center“ von den Behörden ungestört ihre Vorbereitungen treffen konnten. Ein Menetekel, dass über jeder Aktion der Geheimdienste zu stehen scheint, deren Rädchen wie gewohnt zu drehen beginnen, als Issa Karpow (Grigoriy Dobrygin) illegal über den Hafen einreist – ein Tschechene muslimischen Glaubens, den man der Nähe zu Terrorgruppen verdächtigt. Keine seiner Aktionen bleibt unbeobachtet und es wäre ein Leichtes, ihn zu verhaften, aber was wäre damit gewonnen? – An dieser Stelle kommt Günther Bachmann (Philip Seymour Hoffman) ins Spiel, in dessen Tätigkeitsbereich als Leiter einer Hamburger Geheimdienstabteilung die Überwachung fällt. Bachmann erhofft sich von Karpow, den er für einen Mitläufer hält, die Überführung des angesehenen Hamburger Geschäftsmanns Abdullah (Homayoun Ershadi), den er verdächtigt, Terrorgruppen finanziell zu unterstützen. Doch er hat mächtige Gegner sowohl in den deutschen Behörden, als auch unter den US-Amerikanern, die allein schon die Anwesenheit Karpows nervös macht.
Sieht man von Robin Wright als Martha Sullivan ab, die die Interessen der USA in Geheimdienstangelegenheiten vertritt, spielen renommierte englischsprachige Mimen wie Hoffman, Rachel McAdams oder William Defoe die wichtigsten Protagonisten, einheimische Darsteller wie Nina Hoss, Daniel Brühl oder Kostja Ullmann übernahmen dagegen nur Neben- oder Kleinstrollen, was zur Folge hat, dass die britisch-deutsche-US-Co-Produktion in Englisch gedreht wurde, obwohl es sich bei den handelnden Personen fast ausschließlich um Deutsche handelt. Ein Verstoß gegen die in der Regel auf einen authentischen Hintergrund achtenden Besetzungslisten, der zu Kritik Anlass gab, auch wenn davon in der deutschen Synchronisation wenig zu bemerken ist.
Trotzdem liegt gerade in der Originalversion das größte Pfund des Films. Den vor kurzem verstorbenen Philip Seymour Hofman bei seinem Drahtseilakt zwischen den Begehrlichkeiten vorgesetzter Stellen und eigenen taktischen Manövern zu beobachten, wie er mit minimalen Veränderungen in der Stimmlage und im Gestus sowohl seine Freunde, als auch Gegner zu beeinflussen versucht, um seine Ziele zu erreichen, zählt zu den Höhepunkten eines sehr sprachlastigen, verschachtelt aufgebauten Films, der nur selten zu Thriller-Action greift.
Die kritische Grundaussage des Films ist nicht neu – dass die Behörden dazu neigen, jeden kleinen Verdacht zu einer Staatsaffäre hoch zu puschen, dürfte kein Geheimnis mehr sein – aber dank der sehr guten Schauspielerleistungen transportiert Corbijns Film Zwischentöne, die den Fanatismus hinter der Suche nach vermeintlicher Sicherheit offenbaren. In den besten Momenten des Films wird deutlich, wie sehr Vertrauen, dass zuvor mühsam aufgebaut wurde, missbraucht wird, wie notwendig persönliche Kontakte sind, um im nächsten Moment auch einen Freund zu hintergehen – moralische Belange spielen keine Rolle mehr in diesem sperrigen Film, der Geduld vom Betrachter verlangt, diese aber mit seiner differenzierten Sichtweise belohnt.