Broadchurch – Staffel 1 ✍

Broadchurch“ – Und die Ästhetik des Leidens. So könnte man die achtteilige Mini-Serie des britischen ITV mit knappen Worten beschreiben.

— Ein Junge steht auf einer Klippe. Es ist Nacht, tief unter ihm liegt der Strand. Blut tropft von seinen Händen, schließlich kippt die Kamera nach unten, dem Sand entgegen —

Die von Chris Chibnall geschriebene Geschichte handelt von der Ermordung eines Jungen, dem Trauerprozess der Angehörigen und den daraus resultierenden Auswirkungen auf die kleine titelstiftende Kleinstadt an der Jurassic Coast im Süden Großbritanniens. Der Kindstod im Fernsehkrimi ist ein heikles Thema: Oftmals nur noch als Mittel zum Zweck um mit einem Tabu eine höhere Einschaltquote zu generieren, doch sobald es ins Detail geht, wird das sensible Thema in einem 90-Minüter zum Sonntagabend oberflächlich abgedreht. Seichte Unterhaltung mit einem leichten Thrill. Zum Glück macht hier „Broadchurch“ einiges anders.

Auf Grund des kontrastarmen Farbschemas, der bedächtigen Makros und dem melancholischen und zugleich eindringlichen Tones, kommt dem geneigten Serien-Liebhaber schnell der Vergleich mit der dänischen Krimiserie „Forbrydelsen“ und besonders dessen amerikanisches Remake „The Killing“ von AMC, in den Sinn. Analog dazu, gibt auch bei „Broadchurch“ – das Wetter, die Gezeiten und die karge Landschaft – die Stimmung vor. Denn wenn des Nächtens der Regen einsetzt, streift ebenfalls das Ensemble unstet durch die Dunkelheit, um den inneren Disput zu lösen und die Gedanken wegzuwaschen.

Obwohl anfänglich der Mord an dem Jungen im Vordergrund steht, konzentriert sich die Geschichte zunehmend auf den Trauerprozess. Wie durch eine Lupe werden dabei die unterschiedlichen Verarbeitungsstrategien beobachtet, wobei sich die Linse im Laufe der Zeit als Brennglas entpuppt.

„Small towns, everyone’s eyes at you. Don’t like it. […] No, I hate it. I hate the air. I hate the sand. I hate the stupid people. I hate the way they work. I hate their bloody smiley bloody faces. I hate the never-ending sky.“

Das Personal von „Broadchurch“ lässt sich grob in vier Figurengruppen unterteilen: Zunächst ist da die Familie Latimer. Um sie herum schwirren die anderen Dorfbewohner, denen schnell unterschiedliche Verdächtigungen beigemessen werden können. Hinzu kommen Journalisten, die für eine ganz neue Eigendynamik der Ereignisse sorgen. Und natürlich – die Ermittler. Sie sind die eigentlichen Hauptpersonen in dieser Inszenierung. Dabei steht vor allem der verhärmte und abgeklärte Charakter des Detective Inspector Alec Hardy (David Tennant; Dr. Who), im heftigen Kontrast zur ortsansässigen Detective Sergeant Ellie Miller (Olivia Colman; Green Wing, Hot Fuzz), die zwar auf Grund ihres beruflichen Standes und der sozialen Vernetzung die nötige Empathie für die Ermittlung einbringt, aber im Laufe der Ereignisse eine harte Erdung erfahren muss. Die Charakterliche Transformation als solche, trifft jedoch – mal mehr, mal weniger – auf alle Beteiligten der Serie zu.

 

Das Cluedo-Prinzip und „Wer tötete Danny Latimer?“

Schnell befindet man sich im Sog von Intrigen und Verdächtigungen und jeder ertappt sich dabei die Sau durchs Dorf zu treiben. Jeder ist verdächtig … Die unwirsche Trailer-Park-Lady Susan (Pauline Quirke; Der Elefantenmensch, Skins) etwa, eine gemütsarme Figur, die meist allein mit ihrem Hund spazieren geht und den Schlüssel zu einer ominösen Hütte besitzt. Oder der zurückgezogen wirkende Zeitschriftenhändler Jack (David „Walder Frey“ Bradley), der wegen sexueller Belästigung einer Minderjährigen verurteilt wurde. Und wie steht es um den augenscheinlich unbekümmerten Pfarrer, gespielt von Arthur Darvill (Robin Hood, Doctor Who)? Liegt es wirklich nur an seiner chronischen Schlaflosigkeit, dass man ihn nachts so oft umhergeistern sieht?

 

Trauerprozess in vier Phasen

Chris Chibnall ist bei der Ausrichtung seiner Geschichte, eher an Verena Kasts Theorie „Der vier Phasen der Trauer“ (orientiert am Sterbemodel von Kübler-Ross) interessiert, als an der Aufklärung der Tat selbst. Kasts Theorie umschreibt den Zustand – des „Nicht-Wahrhaben-Wollens“, „Der aufbrechenden Emotionen“, „Dem suchen, finden und sich trennen“ und „Des neuen Selbst- und Weltbezugs“, dass sich dieses komplexe Konzept sehr erfolgreich auf den Mikrokosmos von „Broadchurch“ projizieren lässt, veranschaulichte schon ein ähnlich gelagerter Kinobeitrag aus dem Jahre 2012. Die Rede ist hierbei von Vinterbergs „Die Jagd“.

 

Die Ausgangssituation in Vinterbergs Werk war nicht der Kindsmord, sondern das ähnlich geartete Tabu des Kindesmissbrauchs oder in jenem Falle der Vorwurf des selbigen, der letzten Endes die Welt des Protagonisten zum Einsturz brachte und das soziale Umfeld mit Misstrauen vergiftete.

Bei beiden Geschichten handelt es sich um die zeitgemäße Umsetzung einer klassisch griechischen Tragödie, die es durchweg schafft die Untiefen des Betroffenheitskinos zu umschiffen. Der schmale Grat zwischen Pathos und Kitsch wird geschickt absolviert und stellt das Nervenkostüm und die eigenen Entscheidungen auf den Prüfstand.

 

Fazit: All die kleinen Puzzleteile verschaffen „Broadchurch“ eine gute Position im Ranking der Best-British-Crime-Series. Dabei bewegt sich die Serie, vom handwerklichen und erzählerischen Niveau, zwischen „Top Of The Lake“, „The Returned“ und „The Killing“. Wer also einen Kriminalfall mit all seiner Dramatik – Intensiv und bodenständig zugleich – inszeniert sehen möchte, der könnte mit dieser Serie fündig werden.

Ab 21.05.15 auf DVD und Blu-ray im Handel erhältlich. Verleih: STUDIOCANAL