Interview mit Peter Strickland

Rapid Eye Movies luden am 08.06.2013 zum Interview nach Berlin ein. Udo und Tobe waren Feuer & Flamme, packten ihre Taschen und fuhren voller Euphorie nach Berlin. Die Chance, auf Peter Strickland und Toby Jones zu treffen, wollten sie sich nicht entgehen lassen. Denn nach der Sichtung von Berberian Sound Studio, schwirrten ihn einige Fragen durch den Kopf und diese wollten aufgelöst werden.



Leider gingen im Laufe der Zeit die Audiofiles verloren, aber das hindert uns nicht daran, euch dieses äußerst informative Interview zu präsentieren. Auch im Zuge des 10-jährigen Jubiläums von BSS.


Udo Rotenberg: Aus zwei Gründen sind wir hier. Zuerst machen wir ein spezielles Radioprogramm für das Horror- oder Thriller-Genre. Selbstverständlich mögen wir auch andere Genres, aber Ihr Film passt perfekt in unser Radio-Programm. Der zweite Grund ist persönlicherer Art. Ich mag den italienischen Film besonders und auch die italienische Sprache – in Ihrem Film wird mehr italienisch als englisch gesprochen.

Peter Strickland: Ich bin mir nicht sicher, was mehr gesprochen wird.

U.R.: Einigen wir uns auf 50/50?

P.S.: In etwa, ja. Zudem gab es eine Vielzahl unterschiedlicher Dialekte.

U.R.: Ja, das macht es schwieriger, aber dank der Untertitel konnte man das Italienische gut nachvollziehen.

P.S.: Da einige Darsteller nur wenig Zeit hatten, auch unterschiedlich an der Reihe waren, gibt es große Unterschiede in den gesprochenen Dialekten, etwa Nord- oder Süditalienisch.

U.R.: Gedreht wurde Ihr Film aber in Großbritannien und die Darsteller kamen zu ihnen. Ist eine von den Darstellerinnen, Tonia Sotiropoulou Griechin?

P.S.: Ja, Tonia spricht auch bei einem Telefonat griechisch und hat einen entsprechenden Akzent. Neben ihr gibt es noch Fatma (Mohamed), die aus Rumänien stammt und Italienisch mit transsilvanischem Akzent spricht. Das ist als Subtext auch gewollt, denn sie ist auch eine Fremde und wird von Francesco (dem Produktionsleiter) entsprechend behandelt.

U.R.: Für mich war der Unterschied zwischen der von Tonia Sotiropoulou gespielten Sekretärin und Toby Jones als Gilderoy sehr witzig – für ihn war es ein persönlicher Horror, sie nach dem Honorar oder dem Flugticket nach England zu fragen. Die wichtigste Frage für mich ist aber der Grund, warum sie den Film in Italien während der 70er Jahre spielen lassen?

P.S.: Es ist weniger der Horror-Film selbst, als meine Beziehung zu den Komponisten und Musikern – darin liegt für mich der entscheidende Grund. Der Film, den Santini (der Regisseur im Film) macht, ist aus meiner Sicht mehr Gothic-Horror wie Bavas „Black Sunday“ (Die Stunde, wenn Dracula kommt) oder Argentos „Suspiria“, aber es gibt natürlich noch einige weitere Einflüsse.

Wichtig ist für mich die „Gruppo di improvvisazione nuova consonanza“ unter der Leitung von Franco Evangelisti (1964 – 1980, an der Trompete Ennio Morricone), die eine freie avantgardistische Musik spielten, darunter den Soundtrack zu „Das verfluchte Haus“ („Un tranquillo posto di campagna“, Elio Petri, 1968).

U.R.: In den 70er Jahren?

P.S.: Früher, noch in den 60er Jahren. Ihre Musik ist ähnlich der von Stockhausen, avantgardistisch, elektro-akustisch. Man kann ihre Alben unter schwierigen Bedingungen kaufen. Desweiteren sind es moderne Komponisten wie Bruno Maderna, Luciano Berio oder John Cage, die mich begeistern. Um Geld zu verdienen, vertonten sie Horror-Filme wie Bruno Maderna in „Death Laid An Egg“ von Giulio Questi. Mir geht es dabei um die Beziehung von avantgardistischer Musik zum Exploitation-Film.

Oder nehmen wie Pendereczky – schwierige Musik, die Kubrick aber in „Shining“ verwendete. Sie steigert die Modulation, hält gleichzeitig aber Distanz, weshalb sie so gut beim Horror-Film funktioniert – es wirkt lebendig. Deshalb benannten wir den Film nach Cathy Berberian, Sängerin und Komponistin, die mit Luciano Berio verheiratet war, der wiederum mit Bruno Maderna zusammen arbeitete.

U.R.: Pendereczky oder Cage arbeiteten spezifisch mit Klängen. Ich sah Pendereczky bei einem Konzert in Dresden vor etwa 15 Jahren. Dort trat ein großer Chor in einer Kirche unter seiner Leitung auf, die die Klänge nur mit ihren Stimmen erzeugten, ohne Instrumente. Es war erstaunlich. Hätte man es nicht gewusst, hätte man geglaubt, sie hätten maschinelle Hilfsmittel genutzt, um diese Klänge zu erzeugen. Auch Stockhausen entwickelte seine Klänge mit unüblichen Methoden. Liegt darin der Grund, warum Sie damit in ihrem Film experimentieren? – Der Sound regt unsere Fantasie an, die Bilder entstehen nur in unserem Kopf und sind unterschiedlich zur Realität.

P.S.: Die Idee war eher, einfach Klänge zu erzeugen, ohne maschinelle Hilfsmittel zu benutzen. Das soll die Vorstellung im Hirn transformieren wie etwa in „Alien“. Oder nehmen wir den Soundtrack zu „Texas Chainsaw Massacre“ und spielen ihn in einer Konzerthalle – dann reagieren alle begeistert. Da sie aber zu „Texas Chainsaw Massacre“ läuft, schenkt man dieser Musik keine Beachtung. Oder nehmen wir im Gegensatz dazu die Musik von Luigi Nono. Sie gilt als seriös, klingt aber zeitweise horrormäßig mit vielen Schreien und gequälten weiblichen Stimmen. Deshalb verstehe ich meinen Film als Tribut an Cathy Berberian, Nono, Berio oder Maderna.

Und gleichzeitig an die Filmmusik Italiens, die romantisch, saftig und treibend wirkt wie von Cipriani oder Goblin (Claudio Simonetti). Kein anderes Land hat eine solch tiefe Beziehung und musikalische Innovationen im Bereich Horror-Film. Es gibt so viel Liebe zu den Soundtracks und unterschiedliche Herangehensweisen, ob ganz sanft oder Free Jazz. Musikalische Akademiker reagieren, nicht wissend, dass es sich um Soundtracks handelt, begeistert.

Ich denke, „Berberian Sound Studio“ betritt Niemandsland zwischen Avantgarde und Exploitation. Dazu kommen die Platten, die Fotografien und die Studioeinrichtungen aus den 70er Jahren – man kann sich leicht vorstellen, wie avantgardistische Musik etwa bei einer Session in einem Studio für Goblin entstanden ist.

U.R.: Mir gefallen ihre Ausführungen, denn für mich ist es ein Fehler zwischen Avantgarde und Exploitation zu differenzieren. Schon lange rede ich darüber, die Kunst in Komponisten wie Goblin zu erkennen.

P.S.: Ja, oder nehmen wie Jess Franco, der vor kurzem starb. Man nennt ihn einen „Pornographen“, aber ich sage, nehmt ihn ernst. Okay, er hat viel Schrott gemacht…

U.R.: Ich kenne einige, die ihn als Filmemacher schätzen.

P.S.: Für mich kann ein schlechter Film geniale Momente beinhalten – nicht so der übliche gute, geschmackvolle Film. Mir ist es egal, was Geschmack ist, wie etwa „King’s speech“, und mir ist es egal, damit Millionen zu verdienen. Ich versuche etwas, um für mich die richtige Dimension zu finden. leider gibt es eine große Zahl von Kritikern, die in den 70ern aufgewachsen sind, also nach Jess Franco kamen, die sehr versnobt und „Old School“ sind. Es gibt noch so viele Dinge, die noch unentdeckt sind, so viele Filme, die auch diese Kritiker noch entdecken sollten.

U.R.: Nach dieser ausführlichen Begründung für ihren Film habe ich noch eine Frage zu ihrem Hauptdarsteller. Warum wählten Sie Toby Jones für diese Rolle? Ich kenne ihn schon lange, er spielte viele Rollen in großen Filmen, aber er ist so typisch englisch und reagiert jedes Mal verschreckt, wenn ihm die Italiener zu Nahe treten und die Arme um ihn legen – es scheint hart für ihn zu sein. Liegt in diesem großen Unterschied der Grund für Ihre Wahl?

P.S.: Es ist weniger dieser Unterschied. Mir war bewusst – glaub es oder nicht – das er passte. Ich hatte ihn schon mehrfach gesehen, mag ihn sehr, wir sind inzwischen Freunde und haben uns gleich verstanden. Toby hat für mich das, was ich wollte. Ich hatte ihn schon beim Schreiben im Kopf – er ist sehr speziell und ideal in der Rolle des Gilderoy. Er sieht dieser Figur ähnlich, wie ich sie mir schon früh vorstellte – weniger die Größe, sondern mehr das Gesicht, das ich suchte. Es ist auch weniger das englische, um das es mir ging, sondern die Einsamkeit und die Rolle als Außenseiter. Mehr ein Typ wie Frank Judd (engl. Außenminister 1977-1979). Mir fiel natürlich der Größenunterschied zu den italienischen Darstellern auf, aber das war nicht entscheidend, mehr das Temperament.

U.R.: Der Unterschied liegt also im Temperament?

P.S.: Ja, aber das war nicht geplant. Ich nahm die Charaktere wie sie sind. Für mich war es wichtig, die Betrachter für in einzunehmen, um seine Rolle nachempfinden zu können.

U.R.: Meine letzte Frage gilt passend dem Ende ihres Films. Toby bzw. Gilderoy wird Teil des Films, er gerät vom Leben in den Film hinein – darin lag für mich die Konklusion.

P.S.: Das ist ein Gedanke, aber es gibt viele weitere. Aus meiner Sicht beschreibt der Film zwei Kreisläufe, nicht einfach zu erklären. Das Ende beginnt quasi schon am Anfang, wenn der Flug nicht gewährt wird oder es ständig Ausreden gibt für die ausbleibende Bezahlung. Das letzte und das erste Bild sind identisch – ein Revox – Tonbandgerät – damit der Anfang und das Ende quasi eins. Auch der Wechsel vom Englischen ins Italienische beschreibt diesen Übergang, ohne dass es näher begründet wird. Gilderoys Weg in den Film ist auch eine Art Opfer, so wie zuvor in der Handlung Menschen geopfert werden.

U.R.: Vielen Dank für das Interview.