Wes Anderson liefert die Film gewordene Zuckergusstorte
Wie viele Hollywood-Stars passen in ein pinkfarbenes Hotel? Diese Frage ist angesichts von Wes Andersons aktuellem Film THE GRAND BUDAPEST HOTEL kaum zu beantworten, denn es sind so viele, dass beinahe jede Einstellung einem jener Wimmelbilder ähnelt, die das Auge des Betrachters hin- und her schnellen lassen. Seine gesamte Filmfamilie hat Anderson im Grand Budapest Hotel zusammengetrommelt, in den fiktiven Kurort Nebelsbad in der Republik Zubrovka: Owen Wilson, Bill Murray, Jason Schwartzman, Adrien Brody, Jeff Goldblum, Edward Norton Willem Dafoe. Angeführt wird diese Truppe vom Neuzugang Ralph Fiennes, der M. Gustave H., den Concierge des im K.u.k-Ambiente gehaltenen Hotels verkörpert. F. Murray Abraham, Mathieu Amalric, Harvey Keitel, Jude Law, Tom Wilkinson, Saoirse Ronan, Léa SEydoux, Tilda Swinton, Bob Balaban, Fisher Stevens ergänzen die illustre Gesellschaft mit ihren Gastauftritten.
Dieser Trupp an erstklassigen Schauspielern will gebändigt werden, doch dies gelingt Anderson wie von selbst. Wie ein Seiltänzer balanciert er gekonnt zwischen wildem Chaos und minutiöser Ordnung. Die Handlung wird immer und immer wieder in sich verschachtelt, nicht ohne Grund spielen Koffer, Köfferchen, Boxen und Tortenschachteln eine Rolle. Drei Rahmenerzählungen führen uns nach Nebelsbad, wo in fünf Kapiteln die Geschichte des Lobby Boys Zéro Moustafa (Tony Revolori) erzählt wird. Dieser geht bei M. Gustave in die Lehre und gerät mit ihm in eine aufregende Geschichte, die einen Kunstraub, diverse Verfolgungsjagden und einen Gefängnisausbruch beinhaltet. Dabei ist M. Gustave stets das Zentrum der in sich geschlossenen Welt, hoch oben auf dem Berg, um welches das Starensemble in einer durchgeplanten Choreographie kreist und wirbelt. Ralph Fiennes ist es auch, der Andersons einerseits chaotische, andererseits zwanghaft geordnete Form personifiziert: M. Gustave ist ganz der zurückhaltende Gentleman, bei ihm ist der Gast König. Voller Anmut schaltet und waltet er über sämtliche Vorgänge seines Hauses und achtet dabei peinlich genau darauf, dass alles seine Ordnung hat. Doch hat er es gleichzeitig auch faustdick hinter den Ohren, denn sein Servicegedanke reicht bis in die Schlafzimmer des Hotels und ab und an brechen ganze Tiraden an Fluchereien aus ihm heraus. Ralph Fiennes komödiantisches Talent ist eine der Entdeckungen des Films, die übertriebene Penibilität des Concierges und das Umschlagen in touretteartige Ausbrüche bietet er mit sprühendem Witz und perfektem Timing dar. Der an den Slapstick der Stummfilmzeit erinnernde Humor wird durch die oft saftigen, doch nebenher gelieferten Dialoge auf wunderbare Weise gebrochen.
Mit minutiös geplanten, oft achsensymmetrisch aufgebauten Bildern schaffen Anderson und sein Stammkameramann Robert D. Yeoman es, das Chaos in den Griff zu bekommen. Mit schnellen Kamerafahrten und Schwenks verbinden sie diese Tableaus gekonnt – ein Kunstgriff, den man schon früheren Filmen von Anderson sehen konnte, hier wird diese Technik jedoch auf die Spitze getrieben. Der statische Eindruck, den man bei diesem Konzept vermuten könnte, stellt sich jedoch nicht ein: Ganz im Gegenteil eröffnen sich neue Perspektiven, wenn etwa in einer der gelungensten Szenen des Films eine Schießerei auf der obersten Ebene des Treppenhauses stattfindet und von ganz unten in einer Überkopf-Perspektive gezeigt wird. So hält die sehr geordnete Form das Tohuwabohu der außer Rand und Band geratenen Handlung in Zaum. Wes Anderson schafft es, seine Detailwut so zu bändigen und auch jedem Darsteller seinen oft kleinen, aber immer feinen und gut gesetzten Auftritt zu verschaffen. Es ist nicht ganz zu verhindern, dass THE GRAND BUDAPEST HOTEL zu einer Nummernrevue wird, doch zu einer durchweg kurzweiligen, die zu Alexandre Desplats buntem Balalaika- und Jodel-Soundtrack den gediegenen Charme des altehrwürdigen Hotels und seiner betuchten Gäste mit einer unterhaltsamen Jump’n’Run-Handlung kombiniert. Es ist sicherlich einer der leichteren Filme von Wes Anderson, denn bei einem so breiten Panoptikum an Showeinlagen bleibt kaum Zeit, seinen Figuren die bittersüße Melancholie ihrer Vorgänger einzuschreiben. Doch stört das nicht im Geringsten. So pink und wie mit Zuckerguss bestrichen das Hotel einer riesigen Torte ähnelt, die bereits beim Betrachten einen Zuckerschock verursacht, so übersättigt und vollgestopft wird der Zuschauer aus dem rasanten Filmerlebnis entlassen – doch eben auch mindestens genauso zufrieden und mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Und für alle, die anschließend noch nicht genug haben, wird in den Extras eine ganz im Anderson-Stil gehaltene Backanleitung für die im Film mit viel Brimborium kredenzten bunten Törtchen bereitgehalten.
The Grand Budapest Hotel, USA 2014 – Regie: Wes Anderson. Drehbuch: Wes Anderson, Hugo Guiness. Kamera: Robert D. Yeoman. Darsteller: Ralph Fiennes, Jude Law, Tony Revolori, Bill Murray, Tilda Swinton. Verleih: 20th Century Fox, 100 Minuten. Heimkinostart: 5. September 2014.